Interview mit Leo Rabensteiner
Gibt es eine Erfahrung oder ein Ereignis, die/ das dein Leben nachhaltig verändert hat?
Das ist vielleicht die schwierigste Frage und ich habe lange darüber nachgedacht. Es war eine Vielzahl der Ereignisse, die mich geprägt haben. Aber ich könnte das jetzt nicht auf ein Ereignis festmachen. Die kurze Antwort ist Nein, die längere Antwort ist sehr viele Ereignisse- nicht nur eines. Eine Sache könnte ich vielleicht doch nennen, ich war 2015 in Paris, als das Klimaabkommen unterzeichnet wurde. Der gesamte Champs Elysee war voller Menschen- eine riesige Demo. Diese Menschen aus aller Welt haben gemeinsam geglaubt und versucht in einer öffentlichen Aktion eine Veränderung zu bewirken. Das hat mich damals auch schon motiviert. Wenn man sieht, dass andere Menschen, nicht nur eine stille Mehrheit sind, sondern auch aktiv sichtbar werden.
Was würdest du in der Welt gerne verändern?
Generell fast alles, oder zumindest sehr viel. Wenn es jetzt eine Sache sein soll, dann das Selbstverständnis oder das Verständnis der Menschen Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Also für mich ist ziemlich alles veränderbar und dass wir das, wenn wir nur wollen, erreichen können. Unsere Gesellschaft und auch unser Umfeld ist durch uns definiert. Natürlich hat man nicht die Ressourcen, sich jedem Problem anzunehmen und mit jedem Menschen zu sprechen, die/ der eine destruktive Meinung oder ungesunde Tendenzen für die Gesellschaft hat, aber die absolute Mehrheit lebt völlig passiv. Sie achten auf die eigene Bequemlichkeit oder das eigene Wohlbefinden, aber stellen vieles nie in Frage. Ich denke, dass man alles hinterfragen sollte.
Was ist das Beste an deinem Beruf/ deiner Tätigkeit?
Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, aber auch das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. Ich sehe eine gesellschaftliche Wirkung in der Kultur und in der Kulturarbeit. Und denke damit Menschen erreichen zu können und auch Dinge in einem kleinen Rahmen zu beleuchten, die einen Mehrwert haben könnten.
Auf welche Veränderungen hoffst du in der Zukunft. Sei es gesellschaftlich, menschlich, technisch etc…?
Auf die Klimakrise bezogen ein Ende der kognitiven Dissonanz, also ein Ende des Verdrängens: Man weiß zwar, dass es ein großes Problem ist, aber man handelt so, als ob man überhaupt kein Problem hätte. Und man setzt die destruktiven Lebensweisen fort. Ein Ende des Verdrängens würde es gut zusammenfassen. Gesellschaftlich wäre es ein anderer Punkt – das Ausreden auf die anderen. Es gibt Statistiken, die besagen, dass eine Mehrheit zumindest in Österreich stärkere Klimaschutzmaßnahmen befürworten würde. Auch wenn das persönliche Einschnitte bedeutet. Aber viele Menschen verhalten sich nicht danach, weil dann würden sie ja gefühlt schlechter dastehen als die anderen. So lange die anderen sich schädlich verhalten ist es wenig Motivation für die Mehrheit selbst auch etwas zu tun. Das ist das Problem. Denn auch die Politik sagt: Wir würden ja eh, wenn die Mehrheit das wählen würde. Aber wenn wir das machen, wählen sie uns nicht mehr. Und die Bevölkerung sagt dann: Solange die Politik nichts macht, machen wir doch auch nichts. Es ist schwer zu sagen, wie man dieses “Verantwortung auslagern“ durchbrechen kann. Irgendwo ist es auch verständlich, dass man sich nicht total einschränkt, solange alle anderen weiter konsumieren, als ob nichts wäre.
Was findest du im heutigen Leben besonders schwierig im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit?
Dass die Kostenwahrheit in sehr vielen Bereichen nicht sichtbar ist, dass man noch immer das billige Schnitzel kauft, oder den Last Minute Flug, oder generell Billigflug nach Mallorca bucht und nur die 50 Euro vor sich sieht oder für das Schnitzel die 5 Euro – aber nicht sieht, wie viel Ressourcen dafür verbrannt werden. Vieles funktioniert nur so billig, weil es sehr stark subventioniert ist, etwa in der Landwirtschaft. Würden allein die Subventionen für klimaschädliche Produkte wegfallen, hätte man schon eher eine Kostenwahrheit. Aber die ist einfach in sehr vielen Bereichen nicht gegeben. Es ist verständlich, dass Menschen das Billigste kaufen und das was am ehesten wirtschaftlich für sie tragbar ist. Die Welt ist sehr komplex und es ist auch verständlich, dass man sich nicht mit Allem auseinandersetzen kann und gerade Dinge, die außerhalb der eigenen Lebensrealität liegen, haben für viele nicht Priorität.
Wie beeinflusst der Wunsch nach einem nachhaltigeren Leben den Alltag? Oder vielleicht sogar deinen Alltag?
Allgemein gesehen sind es Parameter, wie der finanzielle Aspekt. Bei vielen Leuten ist es leider nach wie vor so, dass Nachhaltigkeit ein Luxusvergnügen ist oder Bio etwas für die, die es sich leisten können. Um bei den Lebensmitteln zu bleiben: Dass es drei Arten Hafermilch in einem Supermarktregal gibt, ist relativ irrelevant, solange diese teurer oder zumindest gleich teuer wie die billigste Kuhmilch ist, die man im Regal findet. Solange es keine Hafermilch gibt, die so billig ist, wie die billigste Kuhmilch, wird sich nichts ändern. Letztlich muss es dahin gehen, dass Dinge für die Massen finanziell tragbar und einfach sind. Das ist nach wie vor nicht der Fall. Wir sind in einer Welt in der alles genormt und definiert ist. Das ist die Summe sehr vieler Gesetze und eines Marktes, der sehr wohl menschgemacht ist.
Was passiert in Graz in Sachen Nachhaltigkeit im Kunst- und Kulturbereich?
Es hat sich in den letzten Jahren schon Vieles getan, auch durch das steigende Bewusstsein durch die Fridays for Future – Demos. In der Gesellschaft ist Nachhaltigkeit oder auch Klimabewusstsein wichtiger geworden. Es gab allgemein einen Auftrieb, über ein paar Jahre zumindest. Größere Häuser lassen sich nun zertifizieren, mit Ökoprofit oder mit anderen Nachhaltigkeitszeichen, und sie kommunizieren das auch nach außen. Das passiert auch letztlich aufgrund der Nachfrage und des gesellschaftlichen Diskurses. Ein Zeichen dieser Entwicklung ist auch CirculART, dass das Ziel verfolgt, dass in der Produktion nachhaltig gearbeitet werden kann. Ich glaube schon, dass sich viele Dinge längerfristig gebessert haben und mehr Bewusstsein für Ressourcenverbrauch da ist als in den Jahren davor. Es ist meiner Meinung nach ein ständiger Prozess.
Was würdest du Menschen raten, die nicht viel Zeit und Geld haben, aber dennoch nachhaltig leben möchten?
In unserem aktuellen Wirtschaftssystem ist es bereits ein sehr guter Schritt nicht viel Geld zu haben. Je mehr Geld man hat, desto mehr konsumiert man, und dadurch emittiert man zwangsweise mehr. Zumindest ist das aktuell noch so, aber auch nicht in jedem Bereich gleich groß. Ich berufe mich in diesem Fall auf Statistiken. Wenn man das Geld hat, stößt man mehr Emissionen aus, hat zB. mehr Möglichkeiten viele Flüge wahrzunehmen als ein Mensch der mit wenig Geld, völlig unnachhaltig lebt. Wenn man zu einem „nachhaltigen“ Yoga Retreat nach Portugal fliegt und da zwei Wochen Yoga macht, hat man trotzdem diesen Flug konsumiert, und wenn es dann eben nicht der einzige Flug ist, sondern der fünfte, sechste, siebte Flug im Jahr, dann bessert das auch das ökologischste Reiseziel nicht aus.
Würde dir etwas einfallen, mit deiner Erfahrung und deinem Wissen, wie diese Menschen trotzdem nachhaltiger leben könnten?
(Anmerkung der Redaktion)
Meiner Meinung nach sollte man sich einfach immer fragen, ob man Dinge wirklich braucht. Vielleicht kann man es in vielen Punkten auf diese Frage herunterbrechen. Wenn man zB. ein Kind hat, dem Markenbewusstsein wichtig ist, ist es natürlich schwierig, aber in diesem Fall könnte man mit dem Kind darüber sprechen. Oder man sagt sich, dass es dem Kind in der Phase zwar wichtig ist, aber später ändert es seine Meinung. Man sollte sich auch als Erwachsene:r fragen: Ist mir dieser Look so wichtig, brauche ich das neu? Kann ich mich in einer anderen Form wohl und gut fühlen, so wie ich ausschaue, auch ohne diese Marken zu tragen oder ohne jeden Monat neue Billigmode einzukaufen? Bewusster oder unbewusster gesellschaftlicher Druck gehört da auch dazu. Es gibt ihn in jeder Situation oder in jedem sozialen Umfeld.
Also im Grunde genommen Heraustreten aus dieser Kommerzgesellschaft?
(Anmerkung der Redaktion)
Ich bin vielleicht selbst ein Individualist, wenn auch nicht zu sehr. Letztlich tut es nicht sonderlich weh gewisse gesellschaftliche Normen zu hinterfragen, sich zu fragen, wie sehr folgt man jedem Druck. Sich bewusstwerden, wo gesellschaftlicher Druck besteht, darüber, was man konsumieren, oder welche Art von Kleidung oder Lifestyle man generell haben sollte. Sich zu fragen, wie sehr erfüllt mich dieser Lifestyle wirklich. Diesen Schritt kann man einfach mal machen, quasi ins kalte Wasser springen und sich sagen, ich kann ohne das gut Leben. Meist stellt sich dann heraus, dass das kalte Wasser dann doch nicht so kalt, wie befürchtet ist.
Gerade Menschen aus dem Kunstfeld, die oft sehr prekär leben, die längere Zeit oder hin und wieder weniger Geld zur Verfügung haben, entscheiden sich oft bewusst für diesen Lebensstil. Für sie ist das quasi das gute Leben, um dieses linke Schlagwort zu verwenden. Selbstverwirklichung und Freiheit und das eigene Gestalten des Lebens und des Alltages sind für viele wichtiger als ein hohes oder mittleres Einkommen oder ein geregelter Alltag. Wenn man das aus einer luxuriösen Position heraus sagt oder aus einem finanziell abgesicherten Hintergrund kommt und sich ein wenig als Künstler:in betätigt, klingt es natürlich zynisch, wenn man das jemandem sagt, der oder die auf Sozialhilfe angewiesen ist. Aber es gibt schon auch viele die diese finanzielle Sicherheit nicht haben und sich für dieses Leben entscheiden. Ich denke was man da empfehlen kann, ist eben zu sagen: Überlege dir was du wirklich brauchst. Natürlich wenn man mit dem nicht auskommt, was man hat, sei es wegen einer Betreuungspflicht oder weil man selbst andere Ansprüche hat, ist es völlig klar, dass es gut ist die Person zu unterstützen einen Job mit mehr Einkommen zu finden. Oder einen, der erfüllender ist und die Person nicht total fertig macht. Da gibt es ja viele Faktoren. Aber letztlich ist es auch mit wenig Einkommen beispielsweise die Frage, ob man trotzdem ein Auto braucht. Ob eine:n das Auto so glücklich macht oder ob man die Ressourcen eher teilt und trotzdem gut leben kann.
Ich könnte da noch einen kurzen Exkurs machen: Ich denke generell, dass uns das zu der Frage führt, wie sehr wir ständigen Konsum brauchen oder wie wichtig der Überkonsum ist. Für unser aktuelles Wirtschaftssystem ist er zweifelsohne wichtig. Meiner Meinung nach ist es auch möglich, eine funktionierende Wirtschaft zu haben, die nicht ständig mehr Ressourcen verbrauchen muss, sondern bei der ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen möglich ist und es trotzdem zu keiner Rezession führt. Siehe Degrowth, andere wachstumskritische Ansätze. Für mich ist Degrowth ein wesentlicher Ansatz. Davon sind wir noch weit entfernt und es ist eine Utopie… noch. Ich denke, dass so etwas wie grünes Wachstum einfach nicht funktioniert und eine Augenauswischerei ist, solange man in den gleichen Ausbeutungsstrukturen verweilt und in den gleichen Wachstumsstrukturen bleibt, ohne diese zu hinterfragen.
Was sollte deiner Meinung nach im Kunst- und Kulturbereich umgesetzt werden, um den Bereich nachhaltiger zu gestalten?
Plausible Schritte, statt gut gemeinter Schritte sind schon einmal wichtig. Dass keine Nachhaltigkeitsschiene kommuniziert wird, wenn lediglich wieder verwendbare Plastikbecher vorhanden sind und ansonsten eine Riesenproduktion stattfindet, bei der 90 Prozent eindeutig und auch fürs Publikum sichtbar nicht nachhaltig sind. Wenn dann etwa keine öffentlichen Anfahrtsmöglichkeiten, aber dafür sehr sehr viele Parkplätze zur Verfügung gestellt werden. In Graz gibt es eigentlich keine Orte im Stadtgebiet, die nicht öffentlich oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Sobald automatisch für alle Gäste ein Parkplatz organisiert wird, zusätzlich zu den Parkplätzen im Ort, man in der Umgebung Parkplätze anmietet und ein Parkleitsystem entwirft, dann setzt man die falschen Anreize. Das ist nun zwar ein Beispiel, aber wenn so ein Festival/ eine Veranstaltung sich schlussendlich als „Green Event“ zertifizieren lässt, was unter gewissen Gesichtspunkten durchaus möglich ist, finde ich das ein wenig scheinheilig. Letztlich sollte man konsequenter sein, sich nicht mit einem Gütesiegel zufriedengeben, sondern sich immer überlegen, wo man etwas besser machen könnte. Es sind eben viele Einzelmaßnahmen in unterschiedlichsten Bereichen, etwa bei Bookings, (wen man einlädt, und wie weit die Reise der Künstler:innen ist), bis hin zur Anreise der Gäste, der Energie uvm. Es sind viele Aspekte, man sollte einfach am Ball bleiben.
Wenn du eine Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit im Kunst- und Kulturbereich besuchen würdest, was würdest du dir wünschen?
Ich habe die Antwort darauf quasi schon gegeben, mit den plausiblen Schritten. Persönlich finde ich es inhaltlich immer wieder interessant Kunstwerke zu sehen, die sich mit Nachhaltigkeit oder mit dem Klima auseinandersetzen. Das ist ein recht junges Genre und es ist auch da vieles nicht sehenswert oder vieles eigentlich schrecklich, oder bedient sehr viele Metaphern oder Stereotype, die man schon zu oft gesehen hat und die dann nur für eine gewisse Gruppe ansprechend sind. Ich denke, dass eine Art von Kunst und Kultur, die sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt, zu einem neuen Bereich wird oder wurde, den es auch weiterhin geben wird. Ich bin auf die Entwicklungen sehr gespannt und denke, dass gerade hier immer wieder neue Kunst und auch darüber hinaus Kultur entstehen sollte und auch wird. Das ist ja auch der Wunsch der Menschen, und das Kulturschaffen ist glücklicherweise nicht gesteuert, sondern folgt den Interessen der Künstlerinnen und Künstler und auch des Publikums. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Es gibt Beispiele, wie Klimakultur-Festivals oder die ECO-Triennale in Maribor, die es seit den 80ern gibt und 2024 zum neunten Mal stattfand. Ganz neu ist das Thema nicht, auch nicht in der Kunst. Manche Beispiele findet man toll, manche nicht. Manches verweist auf Aktivismus, manches auf direkte oder indirekte Umweltzerstörung. Das ist ein sehr weites Feld, es gibt nicht diese eine Definition. Ich finde eine Ausstellung interessant, wenn sie dem Publikum irgendeine Art von Interaktion ermöglicht. Letztlich ist ja Kunst auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wie sich die Gesellschaft und wie sich die Kunst verändert hängt miteinander zusammen. Es ist eine wichtige Entwicklung, weil es bewusstseinsbildend ist, Kunst mit diesem Fokus zu haben. Es muss auch keine spezifische Ausstellung über Nachhaltigkeit oder über Klima sein, sondern es sollte auch in den regulären Kunstbetrieb und in die Kultur Einzug halten, aber das tut es auch schon. Natürlich kann man dem Nachdruck verleihen oder da einen Fokus setzen, aber das ist nichts, das sonst nicht ohnehin stattfinden würde.
Zum Abschluss nun, welches Tier wärst du gerne?
Ein Wolpertinger. Das ist ein Fabelwesen, man sieht es teilweise auf Schihütten, wo sich Tierpräparator:innen Scherze erlaubten und etwa einem Hasen Entenflügel, ein Geweih, etc., anmontieren. Es gibt keine klare Form. Das geht wieder in die Richtung, dass es möglich ist, alles selbst zu definieren und man keine existierende Tierart sein muss. Wir haben unsere Fantasie und unsere Gestaltungsmöglichkeit und können sie überall nutzen.
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