Aus dem Beet: Grashalme und Tautropfen

Die fortschreitende und drastische Reduzierung der Welt der Motorik, d.h. der physischen Fähigkeit, sich frei in einem normalen Personen zugänglichen Raum zu bewegen, hat in Ingrid Copertini eine Art Trotzreaktion hervorgerufen: Man ist versucht zu sagen, auf der Suche nach Poesie hätte sich der Blick der Künstlerin auf Traumwelten gerichtet, Welten, in denen Arm und Körper nicht mehr ankommen, sondern nur noch die Gedanken, ein Gespür von geistiger Offenbarung und die Dynamik des inneren Lebens – die Eliminierung der Unbeweglichkeit. Aber das wäre falsch. Ingrid, früher Malerin, dann nur noch Fotografin, gekrümmt, fast unfähig, sich in dieser zusammengekauerten Haltung zu bewegen, gezwungen, auf ihre Füße und den Boden kurz dahinter zu schauen, stand morgens früh auf und ging hinab in den Park des Krankenhauses. Vor dem Beet blieb sie stehen und schaute. Was sie fotografierte, war so fern jeder Metaphysik des Geistes wie für sie die Möglichkeit, den Kopf zu heben. Sie fotografierte Gras, sie fotografierte Tau, manchmal kleine Glassplitter, und die Poesie offenbarte sich „in einer Schrittlänge“, nicht mehr, nicht weniger. Mit einfachem, starkem, ursprünglichem Bewusstsein, das nirgends besser beschrieben wird als in einem alten Gedicht von Omar Khayyàm:

„Oh mein Herz, tu so, als hättest du alle Dinge der Welt
Tu, als wäre alles ein herrlicher Garten aus Grün
Und du auf diesem grünen Gras tu, als wärest du Tau
In Tropfen gefallen in der Nacht und im Morgenrot entschwunden“

Mit genau diesem Bewusstsein hast du, Ingrid, Kontakt zu allen Dingen der Welt aufgenommen, die in diesem deinem Beet enthalten waren, von dem du mehrmals, gegen deinen Willen „gerettet“ und aufgerichtet wurdest. Und in dein Bett zurückgebracht von gütigen Menschen, die meinten, du wärest gefallen, oder dich gar, wenn du nicht antworten konntest, für betrunken hielten. Vernünftige Hüter des Anstands – sie führten dich von diesem Beet fort, als sie deine ungebührlich zusammenhanglose, groteske Gestalt auf dem Boden liegen sahen. Donata, Angela, Fiorenzo

Eröffnung: Stadträtin Elke Edlinger
Musik: Carmen Grasso, „vento sul“

Dienstag, 14.10.2008

Dauer : bis 25.11.2008

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