Grenzüberschreitungen
Kunstverein BAODO

Eröffnung: 18.05.2004
Ort: Sozialamt der Stadt Graz, Schmiedgasse 26/1, 8010 Graz
Geöffnet: bis 14.7.04, MO – FR 9.00 – 17.00 h

Programm zur Ausstellung

1. Ausstellungseröffnung: mit afrikanischer Live Musik der Gruppe BAODO und selbstgekochten afrikanischen Essen und Getränken. Durch das Zusammentreffen in gemütlicher Atmosphäre bei der Ausstellungseröffnung ergibt sich eine Chance der direkte Begegnung und des Kennenlernens.

2. „Sprechstunden“: Die KünstlerInnen sind an 2 Tagen in der Woche in der Ausstellung anwesend und erteilen Auskünfte.

3. Schulklassen werden eingeladen, die Ausstellung zu besuchen und haben die Möglichkeit bei vorheriger Anmeldung bei einem Workshop der Gruppe BAODO (Musik und Malen) teilzunehmen.

4. Finissage: mit afrikanischer Live-Musik der Gruppe BAODO

Workshop:

Einführung: Veronika Dreier
Afrikanische Jugendliche der Gruppe BAODO erzählen über das Leben als Jugendlicher in Afrika. Gravierende Unterschiede der Lebensformen in den einzelnen Ländern Afrikas werden aufgezeigt. Die SchülerInnen haben Gelegenheit Fragen zu stellen und ihre Situation in Österreich darzustellen. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Lebensformen werden diskutiert. Die TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, auf die speziellen Eigenheiten ihrer verschiedenen Kulturen einzugehen und deren jeweilige Wesensmerkmale herauszuarbeiten.
Musikteil: Musizieren mit afrikanischen Instrumenten. Trommeln ist Kommunikation und Sprache gleichzeitig. Jede/r SchülerIn gibt einen Rhythmus vor, worauf die gesamte Gruppe die Musik aufbaut.
Danach: Reflexionen über die eigene Befindlichkeit nach diesen Übungen.

Die Grenzüberschreitungen sollen bei diesem Projekt auf möglichst vielen Ebenen stattfinden. Der Ort selbst – das Sozialamt – als Ort einer künstlerischen Auseinandersetzung und sozialpolitischen Diskurses:

– Welchen gesellschaftspolitischen Wert hat Kunst und Kultur?
– Welchen Einfluss kann Kultur in der Lebensgestaltung und – bewältigung haben?
– Was kann Kunst zur Förderung demokratischer Lernprozesse beisteuern?
– Aufhebung sozialer Ausgrenzungen
– Möglichkeiten über die Kunst neue Spielräume zu öffnen und somit eine Veränderung von innen heraus zu bewirken.

Die Akteure des Projektes – Flüchtlinge und Asylwerber

– Kaum Verdienstmöglichkeiten, leben am Mindeststandard
– Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe (AfrikanerInnen)
– Kunst als Transportmittel zur kulturellen Verständigung
– Künstlerischer Ausdruck als Maßnahme traumatisierende Erlebnisse zu verarbeiten

BAODO

BAODO wurde im Mai 2000 von Veronika Dreier gegründet; anfangs in Kooperation mit dem Verein ZEBRA, später als eigenständiger Kunstverein, arbeitet an der Integration jugendlicher AsylwerberInnen aus Afrika. Derzeit besteht die Gruppe aus 28 aktiven Teilnehmern aus verschiedenen Ländern Westafrikas.

InitiatorInnen des Kunstraumes N I L sind Veronika Dreier, Eva Ursprung, Joseph Dim und Maxwell Emiohe. Das sozio-kulturelle Projekt bestand aus einem Team von jugendlichen Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern Afrikas und aus Afghanistan, KünstlerInnen, SoziologInnen und TherapeutInnen. Das Projekt arbeitet an der Schnittstelle zwischen Sozialarbeit, Jugendarbeit, Kunst und Alltagskultur. Ziel ist die Neupositionierung der Identität von jugendlichen afrikanischen Flüchtlingen, und deren Integration in unsere für sie vorerst fremde Gesellschaft, sowie das gegenseitige Kennenlernen der verschiedenen Kulturen. Dies kann nur durch Kontakt zu GrazerInnen funktionieren.

Für AfrikanerInnen ist dies extrem schwierig in viele Grazer Lokale werden sie nicht hinein gelassen, oder sie werden dort nicht bedient. Kommunikation mit GrazerInnen in normaler Umgebung kann so nur schwer zustande kommen, ist aber andererseits Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Dazu kommen die sprachlichen Barrieren: die AsylwerberInnen besuchen Deutschkurse, finden aber im Alltag kaum Möglichkeiten, sich in dieser Sprache zu erproben, und so verlernen sie das in den Kursen erworbene ziemlich rasch. Daher war es ein vordringliches Ziel, einen Ort zu schaffen, in dem es möglich ist, in angenehmer Atmosphäre und mit attraktiven kreativen Angeboten eine Basis für Austausch, gegenseitiges Lernen und Kommunikation zu schaffen.

Aus der anfangs therapeutisch orientierten Gruppe entwickelte sich inzwischen ein eigenständiger Kunstverein, dessen Hauptintention die interkulturelle künstlerische Arbeit ist. Das sehr erfolgreiche Malprojekt von Veronika Dreier erweiterte sich sukzessive Richtung Performance, Musik, Webart, Video und Fotografie. Die regelmäßige Radiosendung „African Time“ auf Radio Helsinki läuft nun bereits seit 2 Jahren mit gro§em Erfolg. BAODO hat mit seinen Aktivitäten in der Zeit seines Bestehens durch seine Projekte (in Schulen und Kindergärten), Ausstellungen und öffentlichen Auftritte und die Radiosendung African Time einen wichtigen Beitrag zur Verständigung und Rassismusprävention geleistet. Der dabei entstandene gute Dialog soll nun durch eine Ermöglichung der Fortsetzung vertieft und weitergeführt werden.

Die Aktivitäten bei BAODO hilft den AfrikanerInnen bei der Bewältigung ihres Kulturschocks, bewahrt sie davor, angesichts ihrer prekären Situation in Depressionen und in Folge in die Kriminalität abzugleiten und leistet damit erfolgreiche Voraussetzungen zur Drogen- und Kriminalitätsprävention.

Die Resultate der Arbeit mit der Künstlergruppe finden österreichweit, und zunehmend auch international, Anerkennung und wurden u.a. in folgenden Galerien präsentiert:

2003
• „Hotel Pupik“, Schrattenberg;

2002
• „Graz intern“
• Forum Stadtpark Graz;
• MUWA, Museum der Wahrnehmung
• Artophobia
• Oberösterreichische Landesgalerie Linz
• Kunstraum Goethestraße, Linz
• Forum Stadtpark (Standort und Identität)

2001
• The Substation, Singapore, im Rahmen der 2. internationalen Tagung „PUBLIC ENGAGED ART“, wo das Projekt als europäisches Beispiel sozial engagierter Kunst vorgestellt wurde.

Arbeiten der Gruppe wurden in „Focas“, einer Kunstzeitschrift für den südostasiatischen Raum, sowie in den „Lichtungen“ publiziert.

BAODO ist ein Laboratorium für innovative Kunst. Durch Workshops mit Veronika Dreier, Eva Ursprung und anderen KünstlerInnen aus Österreich, den Niederlanden und Amerika wird ein experimentelles Umfeld zur Erprobung neuer künstlerischer Möglichkeiten geschaffen, angesiedelt im Niemandsland zwischen dem, was die Asylwerber an traditionellem künstlerischen Kapital aus ihren jeweiligen Heimatländern mitgebracht haben, und einer europäischen Lebens- und Erfahrungswelt, die eine neue Blickweise fordert und damit den künstlerischen Ausdruck um eine weitere Ebene erweitert.

N.I.L. Kunstraum + Cafè Seit März 2004 hat der Verein BAODO nun die Räume des ehemaligen „Celery`s“ in der Dreihackengasse 42 angemietet. Hier entsteht nun ein Jugend-, Kommunikations- und Kulturzentrum mit Workshopangeboten, öffentlichem Internetzugang, Videoschnittplatz, Diskussionsveranstaltungen, Konzerten, Performances, DJ-Abenden. Über das ganze Jahr hinweg soll an 1 – 2 Tage pro Woche eine Ansprechperson zur Verfügung stehen, die bestimmte Kompetenzen vermittelt: Umgang mit Computern, Internet, Webdesign, digitale Fotografie und Bildbearbeitung, Gestaltung von Broschüren, Videoprojekte… An diesen Tagen werden gemeinsam mit technischer und kreativer Unterstützung Projekte erarbeitet, z.B. eine Webpage, eine Ausstellung, ein Video, ein Hörspiel oder eine Performance…

Die Betreuerin regt Projekte und Aktivitäten an, hilft beim Erarbeiten von Konzepten und deren Umsetzung. Gleichzeitig hilft sie den MigrantInnen bei der Aufarbeitung ihrer Probleme und unterstützt die Kommunikation zwischen MigrantInnen und Einheimischen. Im Cafè werden regelmäßig unter der Regie von Joseph Dim, Miracle Dim, John Okoye, Yoyo Emeka, Israel Imomo und anderen Mitgliedern der Gruppe BAODO afrikanische und europäische Speisen und Getränke angeboten.

In der ersten Ausstellung zeigten KünstlerInnen von BAODO: Yony Asbonifo, cym, Joseph Dim, Miracle Dim, Veronika Dreier, Yoyo Emeka, Yomi Nweje, John Okoye und Sarah Godthart, Sabina Hörtner, Fritz Langmann, Elke Murlasits, Anita Mörth, Mag Rosa Pink, Maria Slovakova, Edda Strobl (Tonto), Maki Stubenberg, Jörg Vogeltanz und die GastzeichnerInnen im N I L ihre Arbeiten. Performances von Annette Giesriegl und Eva Ursprung, BAODO und Bettina Fabian waren im Programm. MusikerInnen, PerformerInnen und KünstlerInnen aus Österreich und der internationalen Szene begegnen sich in einem konzentrierten und experimentellen Umfeld, um neue künstlerische Möglichkeiten zu erproben.

Hier begegnen sich nicht nur KünstlerInnen aus verschiedenen Kulturen; im N I L treffen sehr traditionelle und sehr zeitgenössische KünstlerInnen aufeinander. Im N I L ist soll ein lebendiger Dialog zwischen internationalen Gästen und lokaler Szene, zwischen sehr erfahrenen KünstlerInnen und ganz jungen Talenten, zwischen Fragestellungen einer lokalen künstlerischen Szene und der internationalen Kultur entstehen. Die Angebote sind für ein breites Publikum quer durch alle Musik- und Kunstgenres konzipiert und soll vor allem auch junge Menschen ansprechen.
Edith Risse:
Die afrikanischen Jugendlichen verfügen über beträchtliches kulturelles Kapital, das sie aus ihren jeweiligen Heimatländern mit gebracht haben. Vor allem Flüchtlinge aus landwirtschaftlich dominierten Landstrichen erleben die Begegnung mit den industrialisierten westlichen Gesellschaften nicht selten als Kulturschock;

Das Projekt „BAODO – Zurück zu den Wurzeln“ versucht auch als Katalysator zu fungieren, der es den Flüchtlingen erleichtert, ihre eigene Kultur als gleich berechtigt zu akzeptieren. Afrikanische Kunst liegt im Trend, in den letzten Jahren hat die Anzahl der Ausstellungen deutlich zugenommen, gleichgültig ob diese traditionelle oder zeitgenössische Kunstobjekte präsentierten.

Nach Auffassung mancher Experten liegt einer der Gründe darin, dass die heutige westliche Kunst zu viel Kälte ausstrahle und dem Bedürfnis des Betrachters nach Menschlichkeit nicht mehr gerecht werde. Die Rezeptionsgeschichte der künstlerischen Ausdrucksformen Afrikas in Europa mahnt aber zur Vorsicht, sie gibt Zeugnis von Missverständnissen, die durch die Anlegung europäischer Ma§stäbe an diese völlig anderen Regeln folgende Kunstlandschaft entstanden sind.

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind starke Einflüsse traditioneller afrikanischer Kunst auf die avantgardistische europäische Kunst unverkennbar; hier seien nur die deutschen Expressionisten und Picasso erwähnt. Damals haben Künstler in ethnologischen Sammlungen afrikanische Artefakte als Kunst „entdeckt“ und durch sie neue Wege der Abstraktion und Expression kennen gelernt. In der Folge wurden diese dann idealisiert und zu Projektionsflächen einer Fiktion von Vitalität, Magie, natürlicher Körperlichkeit und Erotik, die in der „eigenen“ Tradition vermisst wurden.

Traditionelle afrikanische Kunst ist im Wesentlichen religiösen Ursprungs und untrennbar mit Kulthandlungen, Mythologien, Festen und Ritualen verknüpft. Sie verwebt das menschliche Dasein mit der Welt der Ahnen, der Götter und Dämonen. Ahnen- und Zauberfiguren (Fetische) sowie Masken sind die wichtigsten Ausdrucksformen, hinzu kommen Wächter- und Grabfiguren sowie sakrale Gefäße und Abzeichen.

Insgesamt überwiegt die plastische Gestaltung, die Malerei tritt primär in Form der Körperbemalung mit einer spezifischen „Bildgrammatik“ in Form eines streng fest gelegten Formen- und Motivrepertoires in Erscheinung. Diese so genannte Podai- Malerei fasziniert durch die Sparsamkeit der angewandten Mittel, die Klarheit der abstrakten, teils floral anmutenden Muster und ihre reduzierte Farbigkeit. Die neue afrikanische Kunst hat Althergebrachtes sowohl weiter geführt als auch verändert.

Dabei lässt sich feststellen, dass die Emanzipation von den inhaltlichen und formalen Gegebenheiten der Stammeskunst auf zwei Wegen erfolgte: Einerseits durch das erzählerische Tafelbild und andererseits, wesentlich radikaler, durch dekorative Umsetzungen mythischer Vorstellungen, durch eine „Ikonographie der Innerlichkeit“. Die Werke dieser jungen KünstlerInnen machen den Formenreichtum sichtbar, der von der Basis eines Kanons von traditionellen Symbolen ausgeht, wobei die überlieferten Muster jeweils an die jüngere Generation weiter gegeben worden sind. Aus den wenigen Farben und den stark abstrahierten Motiven entwickeln die KünstlerInnen im freien Umgang mit dem tradierten Kanon mit großer Meisterschaft in der Komposition eine gänzlich eigene Bildsprache.Ihre Malerei spielt mit dem alten Formen- und Motivrepertoire und gibt die für dieKörpermalerei essenzielle ´Bildgrammatik` auf. Die zeitgenössische afrikanische Kunst hat aber auch Neues geschaffen, für das es weder in Afrika noch irgendwo sonst auf der Welt Vorbilder gegeben hat. Oft sind diese neuen Kunstformen aus der Auseinandersetzung mit der westlichen Welt – zunächst den kolonialen Metropolen, später der Kultur des Westens im Allgemeinen – hervorgegangen.

Statt des vorhergesagten Unterganges einer selbständigen afrikanischen Kunst haben die Künstler zu fruchtbaren und ausdrucksvollen Antworten auf die gestellten Herausforderungen gefunden. Diese vielfältigen Traditionen und die neuen Tendenzen in den Kunst-Szenen ihrer Heimatländer manifestieren sich auch in den Bildern der jugendlichen Mitgliedern der Gruppe BAODO, was Gelegenheit bietet, unsere Vorurteile über afrikanische Kunst – die in der klischeehaften Vorstellung vieler ausschließlich aus geschnitzten Masken, Fetischen und zu Ritualzwecken hergestellten Gegenständen besteht – gründlich zu revidieren und durch ein zeitgemäßes Bild von der Kunst Westafrikas zu ersetzen.
Christian Wabl – BAODO
Die Farben Afrikas, Afrikanische Kunst wühlt auf. Anders als ein Gang durch eine Ausstellung moderner europäischer Kunst. Die Farben kommen aus einer anderen Erde. Die Mitteilungen erscheinen älter und tiefer. Die Farben Afrikas nehmen den direkten Weg zum Betrachter. Ich schreibe über Afrika und Europa – über die Berührungspunkte.

Seit meiner Kindheit leben in mir Vorstellungen von Afrika. Zu diesen gehörten grüne Hügeln, weite Savannen, wilde Tiere; Menschen, die in Hütten wohnen. Wo es noch Gemeinschaften gab. Menschen, die zusammen halten und Zusammenhalt haben. Menschen, die noch gemeinsam in einem Kreis sitzen und essen. Die Erinnerung daran kommt auf, wenn ich Kunst aus Afrika sehe. Eine Welt, die von einem weit entfernten Leben berichtet. Ich weiß, Afrika besteht nicht aus Naturparks und Menschen, die auf dem Lande in Hütten leben.

Schon lange zogen sie auch dort in die Städte und kämpfen ums Überleben. Vieles, was Männer und Frauen über ihre afrikanischen Länder erzählen, erinnert mich an die Große Landflucht in Europa. Wo in den großen Industriezentren völlig entwurzelte Menschen von einer Katastrophe in die nächste taumelten. Wie lange hat es gebraucht, bis das, was geschaffen wurde, verteilt wurde? Und noch immer: der Verteilungskampf. Und die Auflösung der Familien, der Stämme, der Dorfgemeinschaft? Die Menschen hier versuchen verzweifelt mit der neuen Lage – schon seit Generationen – fertig zu werden.

Es gelingt ihnen, irgendwie, ökonomisch. Für alle nach diesem Anpassungskrieg verlorenen, vereinsamten und verlassenen müssten die „afrikanischen“ Bilder wie Botschaften aus versunkenen Welten erscheinen – aus der Zeit vor der großen industriellen Revolution. Dort begegnet einander, so denke ich, die afrikanische und europäische Seele und so erkläre ich mir die Wirkung der Farben Afrikas. Wo und wann trifft sich der afrikanische und europäische Geist? Das Unglück, das weite Teile dieses Kontinents gefangen hält, ist groß. Im herrschenden, globalen Wirtschaftskrieg ist die Ausgangslage ungleich.

Die Bedingungen, unter denen neue Verhältnisse entstehen könnten, sind nicht gegeben. Nur eine gemeinsame, große Anstrengung für eine neue Verteilungsordnung der Welt könnte zu einem würdigen Leben im globalen Dorf führen. Das wäre dann aber die Abkehr von der herrschenden europäisch-amerikanischen Lebens – und Produktionsweise, wo der Gewinn des einzelnen im Zentrum der Überlegungen steht. Sollte das möglich sein? Es muss – und bald!
Pirstinger Franziska – Überlegungen zur Kunst- und Maltherapie
Das deutsche Wort Therapie stammt vom griechischen therapeia ab, was Sorge, Dienst, Heilung bedeutet. Wurde die Therapie bis vor kurzem ausschließlich als medizinische Behandlung definiert, so versteht man sie nun in der Umgangssprache auch im Sinne einer Technik zur Persönlichkeitsentfaltung. Therapie bezeichnet im Besonderen eine nicht-medizinische, psychotherapeutische Behandlung (ohne Diagnose bzw. eindeutigen Krankheitsbefund), die auf einer positiven Auffassung der Gesundheit beruht. Als „psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden (Definition der WHO), werden heute für die Gesundheit eines Menschen auch Kriterien wie Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und Persönlichkeitsentfaltung herangezogen. Daher empfiehlt es sich, den Begriff Maltherapie nicht in den Zusammenhang mit Krankheit zu bringen, sondern eher als einen Prozess der Wandlung zu sehen.

Maltherapie eröffnet Menschen, die nicht viel reden oder Schwierigkeiten mit verbalem Ausdruck und Kommunikation haben, neue Möglichkeiten mit ihrem seelischen Innenleben Kontakt aufzunehmen und ihre Gefühle auszudrücken. Auf dem Weg der kreativen Betätigung kommt der Klient zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen und findet oft konstruktive Lösungen fŸr sein persönliches Problem.

Als Wirkfaktoren der Maltherapie können die therapeutische Beziehung, die Raumgestaltung, Symbole, Wahrnehmung und Bewusstmachung durch Gespräche und Neugestaltung des „Selbst“ genannt werden. Maltherapie ist Kreativitätsförderung für jeden Einzelnen. Maltherapie fördert durch die unterschiedlichen Techniken und Methoden verstecktes Kreativitätspotential. Sie ermöglicht dem Innenleben eine besondere Ausdrucksmöglichkeit durch die Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit und die Reduzierung auf das Wesentliche.

Moshen Soltani aus dem Malatelier Dreier beschreibt: „Bevor ich mit dem Malen beginne suche nicht ich die Farben aus. Es ist eher umgekehrt – die Farben wählen sich selbst aus. Manchmal verändert sich eine Idee während der Arbeit- das ist sehr spannend für mich. Ich weiß dann gar nicht, warum das so ist. Bis heute habe ich keine Antwort auf diese Frage. Mein Unglück male ich so wie die Nacht- schwarz, und mein Glück so wie die Blumen- rot, schlechte Erinnerungen so wie ein Blatt Papier- weiß, und gute Erinnerungen so wie der Ozean- blau“. Im Malatelier werden die Bilder zu Spuren – zu Lebensspuren, Spur gewordene Empfindung und Erfahrung mit der Welt.

Ein Prinzip bestimmt die Arbeit im Atelier: der freie Ausdruck. Hier werden keine Ratschläge erteilt, keine Techniken vermittelt, sondern man spürt lediglich die Anwesenheit einer Person, die ihr Wissen für die Eigen- und Gruppendynamik zur Verfügung stellt. Diese Anwesenheit im Hintergrund löst beim einzelnen die Verbalisierung des gerade Erlebten, Ausgeführten oder Dargestellten aus. Diese stille Anwesenheit der Malatelierleiterin ermöglicht so den Zugang zur Symbolsprache. Die Mittel der Kunst erlauben nicht nur eine privilegierte Form des Austausches zwischen Klient und Therapeut, sondern mit ihrer Hilfe kann man auch eine Reihe von lateralen Interaktionen in der Gruppe der Klienten selbst entwickeln. Die Therapeuten können als Erfolgsfaktoren an den Klienten Fortschritte in der Ausdrucksfreiheit, mehr Geduld, mehr Sensibilität, mehr Offenheit und Vertrauen gegenüber den anderen, feststellen.

Ein wesentlicher Beitrag der Kunsttherapie ist die Überwindung der Abkapselung und der Apathie des Klienten. Sie bewirkt eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen und eine verstärkte regelmäßige Aktivität des Klienten, solange er in der Klinik ist, was die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach der Entlassung erleichtert. Außerdem stabilisiert die Kunsttherapie das innere Gleichgewicht des Teilnehmers, bereichert und erweitert seine Interessen und gibt ihm die Möglichkeit, auch nach seiner Entlassung einer im psychotherapeutischen Sinn sinnvollen Beschäftigung nachzugehen.

Die bildende Kunst ist grundsätzlich therapeutisch, weil sie Arbeit mit der Materie ist: Farben, Leim, Papier, Ton, Kleister,É Die Materie ruft Regressionswünsche wach. Über das rein Optische hinaus bietet die Malerei den Kontakt mit den Elementen des Feuchten, Klebrigen, Elastischen, die die ganz frühen Erfahrungen des Menschen im Kleinkindstadium anklingen lassen. Viele Erwachsene haben den Kontakt zur Materie verloren. Manche ekeln sich, vielleicht als Folge einer allzu rigorosen Reinlichkeitserziehung. Der Kontakt mit Farbe, Ton, und Kleister ist eine Rückkehr zur Materie, die am Anfang sehr beängstigend, ja ekelig wirken kann. Der Patient muss die Materie im spielerischen Umgang und durch eine Steigerung der eingesetzten Mittel beherrschen lernen. Daher ist es günstig ein großes Angebot an Materialien zur Verfügung zu stellen. Die Materie ist nicht nur Symbolträger, sondern auch eine Quelle der Freude: am Berühren, Greifen, Kneten, Beschmieren, Einreiben, Streicheln und letztendlich am Gestalten.

Die künstlerische Aktivität, vor allem die bildende Kunst, wird manchmal als Ausdruck eines regressiven Zustandes verstanden. Malen und Zeichnen sind Tätigkeiten, die man als Kind erlernt. Die meisten Erwachsenen, sofern sie nicht Künstler sind, fühlen sich in die Kindheit zurückversetzt, wenn sie einen Pinsel in die Hand nehmen. Jeder spürt seine Unsicherheit, sein Zögern, seine Angst, „gesehen zu werden“. Malen ist auch ein Arbeiten mit der eigenen Vorstellungskraft, eine Fähigkeit, die der Erwachsene vernachlässigt. Das Blatt oder die Leinwand haben zudem noch eine faszinierende Spiegelwirkung, denn sie machen fŸr den Zeichner einen Teil seines eigenen inneren Ich sichtbar. Im Zeichner steigen Erinnerungen und Bilder hoch, die mit Worten niemals ausreichend ausge drückt werden können. Der therapeutische Nutzen jeder Tätigkeit entspringt vor allem aus der Freude, die jeder Patient empfindet: aus der kšrperlichen und sinnlichen Freude entwickelt sich der primþre Narzissmus, der den Klient schrittweise dazu bringt, sich ausdrücken zu wollen.

Moshen Soltani aus dem Malatelier Dreier erzählt: „Bevor ich mit meiner Arbeit beginne, denke ich daran, was ich machen könnte. Zunächst malt mein Herz in meinem Gehirn, dann erst beginnen meine Hände mit der Arbeit. Ich kann mit Worten gar nicht ausdrücken, wie sehr ich diese Tätigkeit genieße.“ Schon bei kleinen Kindern sehen wir das Bedürfnis konkrete Erfahrungen in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen. Das ist Wesen des schöpferischen Prozesses.

Diese einzigartige Möglichkeit der Sinnerfassung und Sinnstiftung durch kreative Betätigung sollten sich auch Erwachsene nicht entgehen lassen. Durch verschiedene Einflüsse, wie einseitige Gewichtung eines naturalistischen Kunstverständnisses, Betonung auf Rationalität und Ausklammerung von Emotionen haben gerade Erwachsene oft den Mut verloren, sich so unmittelbar ihrem Inneren zu öffnen. Moshen berichtet wie er durch den Malprozess wieder Zugang zu den Innenformen seiner Erfahrung fand: „Ich glaube es ist unmöglich, das Gefühl im Malatelier zu arbeiten irgend jemandem zu vermitteln. Während des Malens bin ich nicht in dieser Welt, sondern versinke in einer ganz eigenen.“

Die Arbeit im Atelier mit der Gruppe Baodo geht über kunsttherapeutisches Arbeiten hinaus und kann im Sinne einer sozialen künstlerischen Intervention verstanden werden, die an den erweiterten Kunstbegriff nach Josef Beuys anschließt: „Die Konzeption der Kunst erweitert sich und umfasst nun nicht nur die Tätigkeit des Malers, des Bildhauers, des Poeten, des Musikers, des SchauspielersÉ. Sondern sie umfasst nun die gesamte menschliche Arbeit. Das ist für mich die notwendige Entwicklung der Kunst“. In der Praxis heißt das, dass jeder Tätige auch eine neue künstlerische Disziplin erlernen müsste. Darunter verstehe ich eine soziale Kunst, eine soziale Bildhauerei. Eine soziale Kunst, das bedeutet, die Beziehung zwischen den Menschen zu pflegen, was gewissermaßen ein Akt des Lebens ist. Im Namen dieser Auffassung einer anthropologischen Kunst ist jeder Mensch ein Künstler (Beuys 1981) Zunächst ging es Veronika Dreier darum, jungen Asylwerbern eine Möglichkeit zu geben, ihre traumatischen Erfahrungen, die Anlass zur Flucht gaben, mit künstlerischen Mitteln aufzuarbeiten. Viele der Jugendliche sind durch Krieg oder andere Formen politischer Gewalt aus ihren Heimatländern vertrieben worden und finden sich traumatisiert und alleine in einer völlig fremden Welt wieder. – Andere Sprache – andere Kultur- und vor allem eine Lebensgeschichte, die man sich im sicheren Graz kaum vorstellen kannÉ. Das interkulturelle Kunstprojekt bot zunächst die Möglichkeit im therapeutischen Sinne Unterstützung zu geben. Veronika Dreier bot den Jugendlichen Ihr Atelier an – und ließ sie mit grafischen und malerischen Mitteln arbeiten, was ein unglaubliches Potential geballter kreativer Kraft freisetzte. Die traumatisierten und desorientierten Jugendlichen fanden in diesen Malworkshops wieder Zugang zur eigenen inneren Wirklichkeit – Veronika Dreier machte sie bekannt mit ihrem ungeahnten Kapital an Kreativität – Die Jugendlichen arbeiteten im künstlerischen Prozess ihre oft traumatischen Erinnerungen auf und bekamen so die Möglichkeit ihre oft sehr schwierige Situation zu reflektieren und zu bewältigen und sich frei auszudrücken.

Das Malatelier bot für die jugendlichen Asylwerber oft den einzigen Rahmen sich frei und ohne Druck äußern zu können.Joseph, einer der Teilnehmer erzählte mir er konnte nach seiner Ankunft in Österreich nicht mehr sprechen – weder Medikamente, noch Ärzte, nicht einmal ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus halfen. Erst im Malprozess lösten sich langsam seine Probleme. Heute vier Jahre danach, plant Joseph bereits eigene Kulturprojekte und hat sich in der neuen Heimat verwurzelt. Jean Baptiste beschreibt die Erfahrungen im Malatelier Dreier folgend:“ Meine Inspiration kommt aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Für mich ist die Malerei ein Mittel, um meine Gedanken Ÿber das Leben auszudrücken, sowie meine Wünsche und Sehnsüchte: Das Leben fließt so wie die Wellen eines Flusses – das Leben ist in Bewegung. Die Wellen sind das auf und ab des Schicksals“. Moshen Soltani fand im Malatelier zu der Sprache seines Herzens – zur Kunst. Er sagt:“ Kunst war die erste Sprache, die die Menschen anwandten, um miteinander in Verbindung zu treten (z.b Höhlenmalerei). Alle Menschen kannten diese Sprache und waren stolz auf sie. Kunst ist für mich eine Übersetzung fŸr die Sprache meines Herzens, meiner Gefühle, und all der Dinge, die ich will und wollte- sie ist für mich eine Übersetzung fŸr meine Vergangenheit und auch für meine Zukunft.

Wenn ich alleine bin ist die Kunst für mich der beste Freund, um mit mir selbst zu kommunizieren. Meine Arbeiten hören den Schmerz meines Herzens und sie zeigen dies in den Farben auch anderen Personen. Ich bin sicher, dass jeder die Sprache des Herzens kennt, so wie die Sprache der Farben und die Sprache der Liebe. Ein Künstler ist ein Liebender- Kunst ist Liebe. Und wenn jemand diese Geschichte der Liebe erkennt, dann ist es Kunst. Ich wage nicht zu sagen, dass ich ein Künstler bin, aber was ich weiß ist, dass ich ein Liebender bin“. Die lohnenste Aufgabe für Kunsttherapeuten ist es, die Macht der Kunst einzusetzen, um die leidenden Kinder und Erwachsenen, mit denen sie arbeiten, aus der Isolation, in die sie durch die Beschäftigung mit ihren eigenen Problemen geraten sind, zu befreien und in eine weitere Welt hinauszuführen.

Moshen Soltani: „All die Arbeiten, die ich male, sie sind mein Körper; all die Farben, die ich verwende, sie sind mein Blut; all die Formen, die ich gebrauche, sie sind mein Herz. Schreiend möchte ich mitteilen: Ich will leben!!!!“ Mit dem Malatelier Baodo ist es auf beispielhafte Weise gelungen, gesellschaftspolitische Probleme künstlerisch nicht nur aufzuzeigen, sondern an der Wurzel anzupacken. Moshen ist einer der vielen, der durch das Malatelier einen Weg gefunden hat, sich in der neuen Heimat kulturell einzubringen: „Ich spreche die deutsche Sprache noch nicht so gut, aber ich kenne die Sprache des Herzens. Ich möchte die Kunst der Politiker vergessen und die neue Kunst des Lebens erlernen. Ich mag die Menschen, und die Kunst zeigt mir, wie ich andere Personen lieben kann.“

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